Sind Dienstreisen vergütungspflichtige Arbeitszeiten?

Arbeitsrecht: Dienstreisen = Arbeitszeit?

I. Diese Fragen sind arbeitsrechtlich erstaunlich ungeregelt. Arbeits- oder tarifvertragliche Regelungen fehlen meist. Das Lohnsteuerrecht definiert den Begriff der Dienstreise so: „ ... ein Ortswechsel einschließlich der Hin- und Rückfahrt aus Anlaß einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit.“

Zwei Sichtweisen sind grundsätzlich zu unterscheiden: Zum einen die arbeitsschutzrechtliche, d.h. inwieweit sind hier Schutznormen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) betroffen, verstösst der Arbeitgeber mit seinen Regelungen und Anordnungen möglicherweise gegen das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und begeht damit eine Ordnungswidrigkeit oder sogar eine Straftat? Zum anderen die individualarbeitsrechtliche, d.h. inwieweit entstehen durch Inanspruchnahmen über die übliche Arbeitszeit hinaus zusätzliche Vergütungsansprüche oder etwa Ansprüche auf Freizeitausgleich?


II.
Arbeitszeit ist die Zeitspanne während derer ein Arbeitnehmer – auch nicht arbeitend – seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung stellt, es ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen, so § 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Beginn und Ende der Arbeitszeit regelt das Gesetz nicht, man geht in der Regel davon aus, daß die Arbeitszeit mit Betreten und Verlassen der Arbeitsstätte beginnt und endet.

Die Wegezeit von der Wohnung zur Arbeitsstätte ist keine Arbeitszeit, wohl aber die Wegezeiten vom Betrieb zu außerhalb des Betriebes gelegenen Arbeitsstellen. Macht der Arbeitnehmer sich unmittelbar von seiner Wohnung aus auf den Weg zu einer außerhalb des Betriebes gelegenen Arbeitsstelle, so das Bundesarbeitsgericht (BAG), wird die Zeit auf die Arbeitszeit angerechnet, die über die Wegezeit von der Wohnung zum Betrieb hinausgeht. (BAG, Urt. v. 18.03.1963, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Wegezeit)

Reisezeiten sind alle unabhängig von Beginn und Ende der regelmässigen Arbeitszeit vom Arbeitnehmer auf Anordnung des Arbeitgebers unternommenen Wege bzw. Reisen außerhalb der Gemeindegrenzen des Betriebsortes.

Ist die Dienstreise selbst Gegenstand der arbeitsvertraglich geschuldeten Pflicht des Arbeitnehmers, z.B. bei Taxifahrern, Lastwagenfahrern und Außendienstmitarbeitern im selbstgesteuerten PkW, sind Dienstreisen arbeitsschutzrechtlich als Arbeitszeit zu bewerten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Arbeiten inner- oder außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit erbracht werden. Dies gilt auch für den Beifahrer, der neben dem Fahrer auf Verkehr und Streckenführung achten muss. Auch eine Bahnfahrt, die ein Arbeitnehmer mit Aktenarbeit verbringt, ist Arbeitszeit, auch wenn Sie außerhalb der üblichen Arbeitszeit erfolgt.

Reisezeit ist danach arbeitschutzrechtlich Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer während der Zeit in einem Umfang beansprucht wird, der eine Einordnung als Arbeitszeit erfordert.


III.
Von der arbeitsschutzrechtlichen Seite zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit Reisezeiten über die regelmässige Arbeitszeit hinaus zu vergüten sind oder ggf. Freizeitausgleich zu gewähren ist.

Als Grundsatz hierfür gilt zunächst, daß diese nur dann zu vergüten sind, wenn dies vereinbart oder „den Umständen nach“ zu erwarten ist, § 612 I BGB. Gibt es keine Regelung, sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalles maßgeblich.

Nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind angeordnete Dienstreisen grundsätzlich als Arbeitszeit zusätzlich zu vergüten, es sei denn, sie gehören zur geschuldeten Hauptleistung (s.o. z.B. für den LkW-Fahrer) oder die mit ihr verbundene Mehrleistung ist nach den Umständen vom Gehalt abgedeckt. So nimmt das BAG an, dass bei einer sogenannten „gehobenen“ und entsprechend vergüteten Haupttätigkeit eine Reisezeit bis zu zwei Stunden über die geschuldete Arbeitszeit hinaus durch das reguläre Gehalt abgegolten ist, BAG 03.09.1997, EzA §612 BGB Nr. 20.

 

Zum Arbeitszeitgesetz: http://www.juris.de/purl/gesetze/_ivz/ArbZG

 

 

Stand: 20.05.2012

 

K.-H. Sommer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Erkrath (Düsseldorf), www.sommer-rechtsanwaelte.de